readme.txt: Westkunst, 1981 – A Historiography of Modernism Exhibited
Lesen, Schreiben und Publizieren sind die Essenz von „Geisteswissenschaften als Beruf“. In der Rubrik readme.txt stellen wir die Publikationen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Max Weber Stiftung vor. Vier kurze Fragen und Antworten machen Lust aufs Lesen!
In dieser Folge beantworten Mathilde Arnoux (DFK Paris) und Maria Bremer (Ruhr-Universität Bochum) vier Fragen zum Buch “Westkunst, 1981: A Historiography of Modernism Exhibited”.
Welche Frage kann der Leser bzw. die Leserin Ihres Buches nach der Lektüre beantworten?
Nach der Lektüre des Buches, das vielfältige Archivmaterialien und unterschiedliche Forschungszugänge einbezieht, kann die Leser*innenschaft die Kölner Ausstellung Westkunst von 1981 genauer im historischen Kontext des Kalten Krieges verorten – und nachvollziehen, wie sie zur Konstruktion einer vermeintlich westlichen Moderne in der Kunst beigetragen hat: durch das Zusammenspiel von Architektur, Ausstellungsgestaltung, gezeigten Werken, diskursiven Rahmungen, Filmen und beteiligten Akteur*innen ebenso wie durch ihre Ausschlüsse und die kritischen Gegenpositionen, die sie hervorgerufen hat.
So hoffen wir, dass die Leser*innenschaft durch die Lektüre eine Vorstellung davon gewinnt, dass Ausstellungen nicht nur eine kulturelle, sondern auch eine politische Funktion erfüllen können. Im Fall von Westkunst prägte die Formierung von Blickwinkeln und Diskursen über Kunst auch Vorstellungen von Raum, Zeit und Zugehörigkeit zu einer als rein „westlich“ universalisierten Moderne – und somit eine politische Identität. Die Begriffe Westkunst und Weltkunst existierten dabei nebeneinander; die Definition dessen, was „der Westen“ ist, erscheint als Ergebnis einer spezifischen Positionierung.
Was war die überraschendste Erkenntnis oder der verblüffendste Fund im Entstehungsprozess des Buches?
Insbesondere zwei Funde haben sich bei der Recherche als bereichernd erwiesen: erstens, die Entdeckung eines Bestands des Rheinischen Bildarchivs, der zahlreiche bis dahin unveröffentlichte Ausstellungsansichten beinhaltet. Diese Fotografien – von Louisa Stank und Sira Luthardt systematisch erfasst – ermöglichen einen immersiven Nachvollzug von Hängung und Ausstellungsparcours und lieferten dem Grafiker Ulli Neutzling zugleich wertvolles Material, um die Beiträge des Bandes visuell miteinander zu verknüpfen. Die Wiederentdeckung der neun vom WDR in enger Zusammenarbeit mit dem Kurator Laszlo Glozer produzierten Dokumentarfilme – einst teil der Ausstellung und zur Hauptsendezeit im Fernsehen ausgestrahlt – ermöglichten zweitens eine vertiefte Analyse der von der Ausstellung erzeugten Diskurse und ihrem pädagogischen Einsatz von Massenmedien. Die überraschendste Erkenntnis beim Schreibprozess selbst war hingegen, dass kunsthistorische Annahmen aus der Ausstellung Westkunst, die westliche Propagandanarrative des Kalten Krieges verstärkten, trotz der inzwischen vermeintlich multipolaren Weltordnung bis heute in Teilen der Kunstgeschichtsschreibung, im Ausstellungswesen und in den Medien hartnäckig weiterbestehen. Der Entstehungsprozess des Buches hat bei den Herausgeber*innen und Autor*innen somit eine Reflexion über ihre jeweils verinnerlichten Vorstellungen von einer Kunstgeschichte der Moderne angestoßen.
Von welchem Autor, welcher Autorin würden Sie sich ein Vorwort wünschen?
Der Sammelband setzt bewusst auf die Zurücknahme auktorialer Autorität zugunsten einer polyphonen Versammlung von Positionen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Kontexten. Diese Konstellation ließe sich jedoch virtuelle weiter ausdehnen. In Auseinandersetzung mit Westkunst haben wir, um eine kritische Position einzunehmen, einen Großteil des Buches darauf verwendet, die binäre Logik der Ausstellung in den spezifisch expositorischen Ausprägungen nachzuvollziehen. Dabei wurde mit Westkunst nicht nur ‚Ostkunst‘ als vermeintlich radikal anderes, unfreies Gegenüber konstruiert – zugleich wurden andere Möglichkeiten der Sichtbarmachung und Einordnung von Kunstphänomenen der Moderne durch diese Binarität ausgeblendet. Während des Kalten Krieges bestanden zweifellos Verbindungen über die durch Kolonialismus und Rassismus gezogene ‚Color Line‘ (W. E. B. Du Bois) hinweg, deren Berücksichtigung alternative Kunstgeschichten hätte hervorbringen können. Eine transkulturelle, postkolonial informierte Hinterfragung der Ost-West-Binarität wäre ein Weg, das Anliegen des Buches weiterzudenken.
Welche drei Hashtags fassen Ihr Buch am besten zusammen?
#KritischerOkzidentalismus #ExpositorischeKunsthistoriografie #KunstgeschichtenderModerne
Arnoux, Mathilde; Bremer, Maria (Hg.): Westkunst, 1981. A Historiography of Modernism Exhibited, Paris 2025.
Mathilde Arnoux ist Forschungsleiterin am DFK Paris. Ihre Forschung widmet sich den Ost-West-Kunstbeziehungen in Europa während des Kalten Krieges und den verschiedenen Ansätzen, diese zu untersuchen.
Maria Bremer ist Akademische Rätin a. Z. am Kunstgeschichtlichen Institut der Ruhr-Universität Bochum. Ihre Forschung widmet sich der Kunst- und Ausstellungsgeschichte der Moderne und Gegenwart.
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Max Weber Stiftung (10. Juni 2025). readme.txt: Westkunst, 1981 – A Historiography of Modernism Exhibited. [gab_log] Geisteswissenschaft als Beruf. Abgerufen am 14. November 2025 von https://doi.org/10.58079/142yq

